Brand Eins Kollektion

Neue Lern(t)räume braucht das Land

Paar mit Gedankenwolke gelb

Albert Einstein wird zugeschrieben, einmal gesagt zu haben, dass es schlichter Wahnsinn ist, immer dasselbe zu tun und dabei unterschiedliche Ergebnisse zu erwarten.
Übertragen auf die Zukunft der Bildung drängt sich die Frage auf: Welcher Form von „Wahnsinn“ werden wir wohl begegnen, wenn wir einerseits von Menschen erwarten, dass sie in der Lage sind, zukunftsfähige Antworten auf die Herausforderungen unserer Gesellschaft zu finden, aber andererseits den Rahmen nahezu unverändert lassen, in dem die dafür erforderlichen Kompetenzen erworben werden sollen?

Es ist möglich, dass es gar nicht so entscheidend ist, wie dieser „Wahnsinn“ konkret aussehen könnte. Möglicherweise ist es weitaus bedeutender, ihn erst gar nicht (weiterhin) zu tolerieren. Eine Verantwortung, die in unser aller Hände liegt:

  • In der Hand der Wissenschaft, die neue Ansätze für Didaktik und die Ausgestaltung von Lernsituationen aufzeigen kann. So kann es möglich werden, die Struktur von Lernräumen und die dafür notwendigen Räume umfassender zu begreifen und besser zu gestalten.
  • In der Hand der Wirtschaft, die sich öffnen kann, um sich von traditionellen Leistungsidealen der Bildung zu lösen. Das könnte beinhalten, dass neben akademischen Abschlüssen und Zertifikaten auch weitere Nachweise für unternehmerische Fachkompetenz und Handlungsfähigkeit aus informellen Lernkontexten anerkannt und gefördert werden.
  • In der Hand der Politik, die Strukturen und Prozesse etablieren kann, die über die Grenzen einzelner Ministerialressorts hinweg die Entwicklung von Lernräumen als interdisziplinäre Aufgabe verankern und vorantreiben.
  • In der Hand der Gesellschaft, die eine Kultur entstehen lassen kann, welche Bildungsbedarfe nicht als Defizit betrachtet, sondern als Potenzial. Eine solche Kultur kann Bedürfnisse nach neuen Lernräumen unterstützen und wertschätzen.

Ja, zweifellos ist die Übernahme all dieser Aspekte eine bedeutende Aufgabe. Und zweifellos werden neue Lernräume nicht nur gesellschaftlichen Herausforderungen begegnen, sondern auch eigene, derzeit noch nicht absehbare Herausforderungen mit sich bringen. Es wird Momente der Unsicherheit geben. Es wird Zeiten geben, in denen vielleicht sogar alle Beteiligten sich das Vertraute von früher wünschen. Auch kann die Vielfalt der Möglichkeiten, neue Lernräume zu entwerfen und umzusetzen, gelegentlich verwirrend sein. Doch genau an diesem Punkt liegen ungeahnte Gestaltungspotenziale, die ermöglichen, dass lebenslanges Lernen nicht mehr nur aus isolierten Episoden besteht, sondern fest in den Alltag von Leben und Arbeit integriert werden kann.

Neuorientierung des Lernens

Doch wie kann dieser Anspruch erreicht werden? Die Suche nach und die Entwicklung von zukunftsfähigen Lernräumen erfordert eine Neuorientierung in Bezug darauf, was und wofür wir lernen. Dazu gehört eine offene und gemeinsame Überlegung über unsere Bildungsphilosophien und Qualifizierungsideale. Ein möglicher Ansatz wäre, kritisch und aus verschiedenen Blickwinkeln mit Vertretern aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft in den Dialog zu treten. Gemeinsam ließe sich erörtern, welche Themen für eine zukunftsfähige Gesellschaft von Bedeutung sind – sowohl in Bezug auf das Erlernen als auch das Loslassen von Wissen. Zusätzliche Impulse könnten durch Diskussionen entstehen, die beleuchten, an welchen Orten und auf welche Weise das Lernen bereits heute stattfindet und wie es in Zukunft gestaltet werden kann.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, neben dem „Was“ auch dem „Wie“ und „Wo“ einen gleichwertigen und gleichberechtigten Platz in der Gestaltung der zukünftigen Bildung einzuräumen. Eine davon ist, das Lernen als eine Reise zu betrachten – eine Reise, die Lernende an vertraute Orte führt, um bereits Erlerntes auf neue Art zu vertiefen, aber gleichzeitig auch unbekannte Orte erkunden lässt, um das bereits Gelernte zu erweitern. Ein schöner Traum, der jedoch nur mit einem entsprechenden Raum Wirklichkeit werden kann.

Sowohl die Suche nach Antworten auf die Frage, was eine bereichernde Lernerfahrung ausmacht, als auch die Frage nach den dafür notwendigen Räumlichkeiten, werden nur begrenzte Fortschritte erzielen, wenn sie nicht den Kern dessen in Frage stellen, was wir heute als das Ideal des Lernens betrachten. Es bedarf eines kritischen Blicks auf das, was wir bisher über Lernen wissen, um über das hinauszugehen, was derzeit bei der Gestaltung von Lernräumen berücksichtigt wird.

Ein Blick in die Tierwelt

Vieles können wir aus der Tierwelt lernen. Dort zeigt sich, wie vielfältig die Perspektiven sein können, in welchen Formen und Räumen Lernen stattfinden kann. Die langanhaltende Annahme, dass nur die vermeintlich intelligenteste Spezies – der Mensch – über entwickelte Lernformen verfügt, hat sich als Irrtum erwiesen. Tatsächlich lohnt es sich, in die Evolutionsgeschichte zu blicken, um mehr über das Thema Lernen zu erfahren. Von Einzellern bis zum heutigen Homo sapiens war und ist Lernen von verschiedenen Sinneswahrnehmungen geprägt. Frühe Formen des Lernens basierten oft auf dem Geruchssinn, Gehörsinn und Tastsinn. Erst bei den Primaten rückte das Sehen als wichtiger Aspekt des Lernens in den Vordergrund. Besonders bei sozialen Lebewesen kam die Fähigkeit zum Lernen durch Nachahmung hinzu. Auch die traditionelle Annahme, dass Intelligenz und Lernfähigkeit zwangsläufig an das Vorhandensein eines Gehirns und dessen Größe gebunden sind, wurde mittlerweile widerlegt. Es ist jedoch gar nicht so lange her, dass die These aufgestellt wurde, Frauen seien aufgrund ihres kleineren Gehirns weniger lernfähig. Dieses Vorurteil führte dazu, dass ihnen der Zugang zu vielen Lernräumen verwehrt wurde.

Einige dieser Vorurteile bezüglich des Einflusses darauf, wer, was, wie und wo lernen kann, sind zum Glück in den letzten Jahrzehnten ausgeräumt worden. Neue Erkenntnisse kommen stetig hinzu, wie beispielsweise tiefgreifende Einblicke in die Funktionsweise des menschlichen Gedächtnisses und seiner neurologischen Grundlagen.

Die Verknüpfung von biologischer Intelligenz, maschinellem Lernen und sozialem Verhalten eröffnet hier faszinierende neue Möglichkeiten für die Gestaltung sogar virtueller, innovativer Lernräumen, die die Vielfalt und Komplexität des Lernens in all seinen Facetten widerspiegeln. Die Erschaffung neuer Lernräumen erfordert daher ein kreatives Umdenken, und noch mehr, ein unternehmerisches Neudenken hinsichtlich der Zukunft der Bildung. Es bedarf eines neuen Versprechens, wo das Lernen stattfinden kann, darf und soll! Welche bewährten Lernräumen sollten beibehalten werden? Welche sollten aufgegeben werden? Wo sollten neue hinzugefügt werden?

Die zunehmende Technologisierung hat bereits verändert, wie wir kommunizieren und Informationen teilen und verwalten. Sie beeinflusst auch, wann, wie und wo wir individuell oder in Interaktion lernen. Virtuelle Klassenzimmer, Online-Kurse und interaktive Lernplattformen oder auch Anwendungen für bedarfsorientiertes Lernen sind nur einige Beispiele. Sie verändern die Art und Weise des Lernens in Bildungseinrichtungen. Gleichzeitig schaffen sie die Möglichkeit für eine Vielfalt an neuartigen Lernräumen.

Spielerisch lernen

Der mittlerweile kostengünstigere und einfachere Zugang zu multimedialen Lernplattformen ermöglicht den Lernenden auch, Lernräume selbst zu gestalten, die ihren individuellen Bedürfnissen nach Kreativität und Reflexion gerecht werden und gleichzeitig durch Zusammenarbeit und Nachahmung mit anderen Lernenden fördern. Die Schaffung derartiger Lernräume eröffnet zudem eine Rückbesinnung auf spielerische Komponenten des Lernens, die natürliche Neugier und die intrinsische Motivation, Neues zu entdecken und auszuprobieren.

Digitale Technologien eröffnen hier faszinierende Möglichkeiten, Lernende durch unterschiedliche Lernräume auf Reisen zu schicken. Sie ermöglichen es, individuellen Bedürfnissen gerecht zu werden und aus Lernenden eine Art „Reisegruppe“ zu formen, die nicht nur ihr Fachwissen miteinander teilt, sondern auch vielfältige Formen von Erfahrungswissen austauschen kann. Dadurch entsteht die Chance, eine Lernumgebung zu schaffen, die den Wissenserwerb auf dynamische und interaktive Weise ermöglicht und den Lernenden hilft, zu eigenständigen Gestaltern ihrer eigenen Zukunft zu werden. Immer mehr entstehen auch einzelne Begegnungsstätten oder sogar ganze Gebäude als physische neue Lernräumen, die dieser Vision folgen.

Durch die Kombination beider Ansätze hat sich in jüngster Zeit eine Landschaft hybrider Räume entwickelt, die es ermöglicht, das Lernen als Reise zwischen verschiedenen Institutionen zu gestalten. Dabei gewinnt auch die Frage nach dem Zugang zu Lernräumen an Bedeutung, die sowohl für kurzfristige Lernstopps als auch für längere Lernaufenthalte geeignet sind. Ein solcher Zugang wird möglich, wenn wir uns von drei Annahmen über das Lernen lösen können:

  • Lernen ist keine Phase, die nur auf eine bestimmte Art und Weise an einem bestimmten Ort stattfindet. Lernen ist eine lebenslange Reise – von Ort zu Ort. Einige davon besuchen wir immer wieder, andere nur einmal.
  • Lernen ist kein Prozess, der nur zu bestimmten Zeiten an bestimmten Orten stattfindet. Lernen ist eine kontinuierliche Reise, bei der Impulse und Interaktionen als Transportmittel dienen.
  • Lernen ist kein Produkt, das nur zu bestimmten Zeiten an bestimmten Orten entsteht. Lernen ist eine lebenslange Reise, auf der wir Kompetenzen erwerben und Erfahrungen sammeln.

Die erfreuliche Nachricht ist: Das Verständnis von Lernen als (lebenslange) Reise ist keine bloße Theorie. Die notwendigen Lernräume existieren bereits vereinzelt. Es gibt physische und digitale Orte, an denen Lernreisen bereits stattfinden und die es individuellen Lernenden ermöglichen, selbstbestimmt zu lernen – in Bezug darauf, was und wie gelernt wird. Solche Lernräume erkennen nicht nur die Qualifikation als individuelles Lernergebnis an, sondern auch die Wirkung in und für die Lerngemeinschaft sowie den Beitrag zur Gesellschaft als Ganzes.

Raum für „Lernlandschaften“

Zunehmend legen Bildungseinrichtungen Wert beim didaktischen und inhaltlichen Fokus darauf, individuelle Stärken zu fördern und verschiedene Lerntypen anzuerkennen, um sie in ihrer Vielfalt zu fördern und in einen kooperativen Austausch zu bringen. Oftmals ermöglichen die bestehenden Lernräume jedoch nicht, diesem Anspruch gerecht zu werden. Doch es zeichnet sich eine Entwicklung ab, die in der Architektur und Gestaltung von Lernräumen neue Wege beschreitet – hin zu inklusiven, dynamischen Lernlandschaften, die als facettenreiche Räumen gestaltet sind und das individuelle Potenzial aller Lernenden erkennen und fördern können. Noch mehr: Die Lernenden werden zunehmend in die Konzeption und Gestaltung der Lernräume einbezogen.

Raum für „Lerngemeinschaften“

Bildung wird als ein gemeinschaftlicher Prozess verstanden, bei dem Lernende als Anfänger, Amateure und Profis aus verschiedenen Bereichen zusammenkommen, um Ideen sowie die damit verbundenen Lernbedürfnisse, Erfahrungen und Kompetenzen auszutauschen. Der Auf- und Ausbau einer Lernkultur, die Schaffung und Aufrechterhaltung einer offenen und flexiblen Bildungsgemeinschaft, rückt in den Fokus. Eine Kultur, die Raum für das Einbringen und die Begegnung vielfältiger Lernbedürfnisse in Bezug auf Themen, Methoden und Orte ermöglicht. (Praktische Anregungen: www.colearning.com)

Der Traum von der Zukunft der Bildung und neuen Lernräumen kann und sollte sogar weiter geträumt werden. Doch es bedarf auch Wegbereiter, die bereit sind zu träumen und aus diesen Träumen auf eine Lernreise aufzubrechen, um zu erkennen, wie Träume in Räumen umgesetzt werden können. Räume für ein lebenslanges Lernen – ein Lernen, das immer im gegenwärtigen Moment stattfindet. Wenn etwas nicht sofort gelingt, dann ist es lediglich eine Frage des „noch nicht“ oder des „so nicht“ und nicht des „nicht möglich“.  In diesem Sinne: Auf zu neuen Lern(t)räumen!