ADG Infoservice Arbeitsrecht 3/24

Einsatz von KI im arbeitsrechtlichen Alltag – Übertragung des Weisungsrechts an KI?

Die Integration von Künstlicher Intelligenz (KI) im Arbeitsleben birgt immense Potenziale und wirft gleichzeitig rechtliche Fragen auf. Von Recruiting bis hin zur Personalentwicklung prägt KI den Arbeitsalltag zunehmend. Neben der Unterstützung bei Arbeitsaufgaben automatisiert KI auch Arbeitsanweisungen, ein Konzept bekannt als „algorithmisches Management“. Diese Entwicklung wirft wichtige rechtliche Fragen auf, insbesondere bezüglich der Übertragung des Weisungsrechts an KI und den daraus resultierenden Pflichten der Mitarbeiter.

I. Einleitung

Die Einsatzfelder von Künstlicher Intelligenz (KI) im Arbeitsleben sind weitreichend und werden sich stetig vergrößern. Sie decken vom Recruiting über das Personalmanagement bis hin zur langfristigen Personalentwicklung den gesamten Zyklus eines Arbeitslebens ab. 

KI kann nicht nur bei der Erfüllung von Arbeitsaufgaben selbst eingesetzt werden. Personalanalytik beispielsweise zielt darauf ab, durch automatisierte Datenauswertung Entscheidungen des Arbeitgebers vorzubereiten, Bewerbungsverfahren zu optimieren, Mitarbeiter vorauszuwählen und einzustellen und ihre Leistung im Arbeitsverhältnis zu bewerten. 

KI kann darüber hinaus auch dazu eingesetzt werden, die Organisation von Arbeitsaufgaben und die damit verbundenen Entscheidungen selbst automatisiert anzuweisen. Bei dem sog. „algorithmischen Management“ erhalten Mitarbeiter zum Beispiel bereits vielerorts Arbeitsanweisungen von digitalen Systemen:

In der Logistikbranche werden von einem Algorithmus errechnete Arbeitsanweisungen über ein digitales Empfangsgerät erteilt. Welche Route hat der fahrzeugführende Mitarbeiter zu nehmen? Welche Tankstellen soll er optimalerweise anfahren? Wo soll er Pausenzeiten und -orte einlegen?

In Lagerhäusern leiten sog. „Lead-me“ Wagen die Mitarbeiter von einem Lagerort zum anderen und geben Anweisungen, welches Produkt in welcher Menge an Artikeln an einer bestimmten Station entnommen werden soll. 

Die Vorteile des Einsatzes von KI sind dabei vielfältig. In Echtzeit können große Mengen zur Verfügung stehender Daten ausgewertet und in eine oder mehrere parallele Entscheidungsfindungen einbezogen werden. Als sachfremd definierte Erwägungen können von vornherein vermieden werden.

II. Übertragung des Weisungsrechts an KI

Rechtlich gesehen stellt sich die Frage, ob und inwiefern eine derartige Konkretisierung der Arbeitsaufgaben der KI überhaupt überlassen werden darf. Und müssen die Mitarbeiter den Vorgaben der KI Folge leisten?

1. Weisungsrecht

Ausgangspunkt ist das Weisungs- und Direktionsrecht des Arbeitgebers. Der Arbeitgeber kann Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind. Dies gilt auch hinsichtlich der Ordnung und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb. Bei der Ausübung des Ermessens hat der Arbeitgeber auch auf Behinderungen des Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen, § 106 GewO.

Das Weisungsrecht (auch Direktionsrecht) des Arbeitgebers ist wesentlicher Inhalt eines jeden Arbeitsverhältnisses. Die Notwendigkeit des Weisungsrechts ergibt sich schon daraus, dass in einem Arbeitsvertrag die vom Arbeitnehmer übernommene Leistungspflicht inhaltlich kaum bestimmt ist. Erst der Arbeitgeber konkretisiert die Verpflichtung, indem er den Arbeitnehmer zu bestimmten Handlungen oder Unterlassungen anweist.

2. Übertragbarkeit

Arbeitgeber dürfen ihr Weisungsrecht an Dritte übertragen. Dritte sind in aller Regel jedoch andere Personen, die das Weisungsrecht anstelle des Arbeitgebers und für diesen ausüben. KI ist keine Person, sodass sich die Zulässigkeit der Übertragung insoweit nicht per se annehmen lässt.

Das deutsche Arbeitsrecht stellt jedoch keinen Grundsatz auf, dass Weisungen und Entscheidungen von einem Menschen vorzunehmen sind. Die von einer KI erteilte Weisung richtet sich zudem nach vom Arbeitgeber vordefinierten Bedingungen und Bandbreiten möglicher KI-Entscheidungen. Dadurch beruht die KI-Arbeitsanweisung letztlich auf einer Entscheidung des Arbeitgebers.

Nach wohl herrschender Meinung können Arbeitgeber ihr Weisungsrecht deswegen auch einer KI übertragen. Die von der KI ausgesprochenen Weisungen sind dem Arbeitgeber zuzurechnen.

3. Grenzen des Weisungsrechts

Bei der Ausübung des Weisungsrechts ist der Arbeitgeber schon nach dem Wortlaut des § 106 GewO an die Grenzen gebunden, die der Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarungen, Tarifverträge oder gesetzliche Vorschriften setzen. Darüber hinaus muss die Weisung billigem Ermessen entsprechen.

Verletzt eine Weisung diese Grenzen, muss der Arbeitnehmer die Weisung nicht befolgen, auch nicht vorläufig.

Hieraus ergeben sich auch zwangsläufig Grenzen hinsichtlich der Übertragbarkeit

a.  Grenzen aus Gesetz, Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung, Vertrag

Ist die Konkretisierung der Leistungspflicht durch KI beispielsweise spezialgesetzlich, vertraglich, tarifvertraglich oder betrieblich ausgeschlossen, kann eine Weisung durch KI nicht erteilt werden.

Spricht eine KI-Anwendung eine Weisung aus, die ihrerseits das Gesetz, einen Tarifvertrag, eine Betriebsvereinbarung oder eine vertragliche Klausel verletzt, führt auch das selbstverständlich zur Unbeachtlichkeit der Weisung.

b. Billiges Ermessen

Des Weiteren müssen Weisungen billigem Ermessen entsprechen, § 106 S. 1 GewO. Nach Ansicht des BAG entspricht eine Weisung billigem Ermessen, wenn die wechselseitigen Interessen nach verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Wertentscheidungen, den allgemeinen Wertungsgrundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit sowie der Verkehrssitte und Zumutbarkeit abgewogen worden sind.

Erforderlich hierfür ist, dass die KI über die nötigen Informationen verfügt, d. h. die Interessen des Arbeitnehmers und die betrieblichen Interessen kennt und diese Interessen anhand vorgegebener Parameter gegeneinander abwiegt.

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob KI-Weisungen per se unbillig sind, weil keine umfassende Interessenabwägung stattfinden kann. Denn KI-Weisungen beruhen i.d.R. auf den programmierten Vorgaben des Arbeitgebers und der KI zugänglichen oder selbst erhobenen Daten. Eine KI kennt zumeist nicht alle Umstände des einzelnen Mitarbeiters und des einzelnen Falls.

Zudem erfolgt die Entscheidungsfindung anhand im Vorfeld abstrakt definierter Parameter.  Wertentscheidungen, den allgemeinen Wertungsgrundsätzen, der Verkehrssitte und der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall Rechnung zu tragen, stellt sehr hohe Anforderungen an die Entscheidung der KI.

Ob Weisungen durch KI diesem wertenden Aspekt gerecht werden können, ist nicht abschließend entschieden. Letztlich soll durch das Billigkeitserfordernis ein gerechter Interessenausgleich sichergestellt werden.

U.E. steht das einer Weisung durch KI nicht per se entgegen. Der Arbeitgeber der die Weisungserteilung der KI überträgt und sich so einer eigenen Abwägung im Einzelfall begibt, muss aber im Voraus Maßnahmen treffen, um Einzelfallgerechtigkeit zu gewährleisten.

Standardisierte Entscheidungen und alltägliche Arbeitsanweisungen, die die berechtigten Interessen des Arbeitgebers wenig bis gar nicht berühren, sondern vornehmlich die Arbeitsleistung betreffen, dürften durch die KI getroffen werden können.

Schwierige Einzelfallentscheidungen mit nicht nur unerheblichem Bezug zu Arbeitnehmerinteressen sollten dagegen einer persönlichen Entscheidung des Arbeitgebers vorbehalten bleiben.

Auch wäre in Betracht zu ziehen, Entscheidungen mit Berührungspunkten zu schwerbehinderten Arbeitnehmern von einer KI-Anwendung auszunehmen, um dem besonderen Schutzbedarf dieser Mitarbeiter gerecht zu werden.

In jedem Fall ist es empfehlenswert, weisungsgebende KI-Systeme mit einer Remonstrationsfunktion auszurüsten und Mitarbeiter anzuhalten, von der Funktion Gebrauch zu machen, sobald sie eine KI-Anweisung für unbillig halten.

Schließlich muss sich der KI-affine Arbeitgeber bewusst sein, dass er im Streitfall die Darlegungs- und Beweislast für die Rechtmäßigkeit, insbesondere auch Billigkeit seiner Arbeitsanweisungen trägt. Wichtige Anweisungen sollte er sich auch deshalb vorbehalten.

c. Verbot automatisierter Entscheidungen, Art. 22 DSGVO

Eine weitere Begrenzung finden KI-basierte Weisungen in dem Verbot automatisierter Einzelentscheidungen, Art. 22 I DSGVO.

Danach darf der Arbeitnehmer nicht einer ausschließlich automatisierten Entscheidung unterworfen werden, wenn die Entscheidung ihm gegenüber „rechtliche Wirkung entfaltet“ oder ihn „in ähnlicher Weise erheblich beeinträchtigt“.

Arbeitgeberseitige Entscheidungen, die die Hauptpflichten des Arbeitsverhältnisses betreffen und rechtliche Wirkung entfalten, können daher nicht vollständig an KI-Systeme übertragen werden. Das betrifft insbesondere Entscheidungen zu Versetzungen, Einstellungen, Kündigungen oder Beförderungen. ​

Der Arbeitgeber muss also in solchen Fällen die eigentliche Entscheidung treffen und darf diese nicht an eine KI übertragen. KI kann insoweit nur zur Vorbereitung einer solchen Entscheidungen genutzt werden. Vorstellbar ist damit z. B. die KI-basierte Analyse von Leistungsdaten einzelner Mitarbeiter, um eine von einem menschlichen Vorgesetzten zu treffende Personalentscheidung vorzubereiten. Auch alltägliche (fachliche) Weisungen, die lediglich bestehende Arbeitspflichten konkretisieren, können durch KI erfolgen. Die Rechtsposition des Arbeitnehmers wird durch derartige Weisungen nicht um-, sondern lediglich ausgestaltet.

Detail:

Mehr Gestaltungsspielraum besteht, wenn der Arbeitnehmer der Entscheidungsfindung durch KI zustimmt. Das Verbot gilt nach Art. 22 II Buchst. c DSGVO nicht, wenn die automatisierte Entscheidung mit ausdrücklicher Einwilligung des betroffenen Arbeitnehmers erfolgt. Die einer automatisierten Entscheidung zu Grunde liegenden Tatsachen sind in diesem Fall dem Arbeitnehmer mitzuteilen, Art. 13 II Buchst. f, Art. 14 II Buchst. g DSGVO. Der Betroffene soll so in die Lage versetzt werden, sich mit der automatisierten Entscheidung auseinanderzusetzen. Ob größere Gruppen von Arbeitnehmern einer entsprechenden Auslagerung von Entscheidungen auf KI in der Praxis tatsächlich zustimmen werden, erscheint zweifelhaft.

III. Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats

Bei Einführung und Anwendung von KI-Systemen im Betrieb sind Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats aus dem BetrVG zu beachten.

1. Hinzuziehung von Sachverständigen

Das Gremium darf gemäß § 80 Abs. 3 S. 1 BetrVG regelmäßig einen Sachverständigen hinzuziehen, wenn es die Einführung oder Anwendung von Künstlicher Intelligenz beurteilen muss. Die Hinzuziehung eines Sachverständigen gilt gem. § 80 Abs. 3 S. 2 BetrVG insoweit als erforderlich.

2. Erzwingbare Mitbestimmung

Die Einführung eines KI-Systems, das ein algorithmisches Management ermöglicht, unterliegt zudem der Mitbestimmung. Nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG steht dem Betriebsrat bei der Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen, ein Mitbestimmungsrecht zu. Dabei ist es nach der ständigen Rechtsprechung unbeachtlich, ob der Arbeitgeber mit der technischen Einrichtung eine Beurteilung von Verhalten und Leistung bezweckt oder tatsächlich vornimmt; maßgeblich ist, wie es bei einem KI-System anzunehmen ist, allein die objektive Eignung der Einrichtung zur Überwachung. 

3. Unterrichtungs- und Beratungspflichten

Darüber hinaus sind § 90 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG (Unterrichtungs- und Beratungsrechte bei der Planung des Einsatzes von KI), § 80 Abs. 3 S. 2 BetrVG (Recht zur Hinzuziehung eines Sachverständigen bei Einführung und Anwendung von KI) sowie ggf. § 95 Abs. 2a BetrVG (Zustimmungsbedürfnis bei KI-generierten Auswahlrichtlinien) zu beachten.

4. Betriebsänderungen

In Unternehmen mit regelmäßig mehr als 20 Arbeitnehmern können insbesondere bei grundlegenden Änderungen der Betriebsorganisation, der Betriebsanlagen und der Einführung grundlegend neuer Arbeitsmethoden die Vorschriften über die Betriebsänderung nach §§ 111 ff. BetrVG zu beachten sein.

Diese zwingen den Arbeitgeber zur umfangreichen Beteiligung des Betriebsrats, insbesondere in Form von Informationspflichten, Verhandlungspflichten über einen Interessenausgleich und zum Abschluss eines (erzwingbaren) Sozialplans. Freilich kommen die Vorschriften erst in Betracht, wenn die KI-Anwendungen zu erheblichen Veränderungen mit Nachteilen für die Belegschaft führen sollen.