ADG Infoservice Arbeitsrecht 2/24

Gleichbehandlungsgrundsatz bei Lohnzahlung

Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz erscheint leicht zu fassen und ist im Detail oftmals doch schwierig anzuwenden. Im Spannungsfeld zwischen Gleichbehandlung und unternehmerischer Freiheit entwickelt die Rechtsprechung mit ihm ein Institut, das für einen interessengerechten Ausgleich der widerstreitenden Interessen sorgen soll.

Rechtliche Grundlagen

Die Arbeitsvertragsparteien sind als Grundrechtsträger nicht Grundrechtsadressaten. Sie sind deshalb nicht verfassungsunmittelbar an Art. 3  Abs. 1 GG gebunden. Es besteht aber eine Bindung des AG an den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Dies ist heute im Ausgangspunkt allgemein anerkannt. Die Bindung an den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz verbietet es dem AG, einzelne AN oder Gruppen von AN ohne sachlichen Grund von allgemein begünstigenden Regelungen des Arbeitsverhältnisses auszunehmen und schlechter zu stellen als andere AN in vergleichbarer Lage. Der Gleichbehandlungsgrundsatz ist weder Ausdruck einer unmittelbaren Drittwirkung des allgemeinen Gleichheitssatzes, noch wurzelt er als verbindlicher Rechtssatz des Privatrechts in Art. 3  Abs. 1 GG.

1. Gleichbehandlung bei der Vergütung

Im Bereich der Vergütung greift das Gebot der Gleichbehandlung ein, wenn der AG Leistungen aufgrund einer generellen Regelung gewährt, insbesondere, wenn er bestimmte Voraussetzungen oder Zwecke festlegt. Ob eine Entgelterhöhung nachteilige Arbeitsbedingungen der von ihr begünstigten AN nicht nur ausgeglichen, sondern überkompensiert hat, bemisst sich nach einem Gesamtvergleich: Gegenüberzustellen ist das Arbeitsentgelt, das der auf die Gleichbehandlung klagende AN im maßgeblichen Zeitraum aufgrund der für ihn geltenden arbeitsvertraglichen Regelungen tatsächlich verdient hat, und dasjenige Arbeitsentgelt, das er erhalten hätte, wenn er zu den Konditionen der begünstigten AN gearbeitet hätte.

Ist die Entscheidung des AG nicht auf einen einzelnen Betrieb beschränkt, sondern bezieht sie sich auf alle oder mehrere Betriebe eines Unternehmens, ist auch die Gleichbehandlung der AN betriebsübergreifend zu gewährleisten. Eine unterschiedliche Behandlung der einzelnen Betriebe setzt voraus, dass es hierfür sachliche Gründe gibt. Das BAG zieht als Anspruchsgrundlage § 242 BGB iVm Art. 3 Abs. 1 GG heran.

In der Anwendung und Ausgestaltung der Bindungswirkung des AG an den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz sind auch die europarechtlichen Diskriminierungsverbote zu beachten. Gesetzlichen Ausdruck hat dies bereits in § 612 Abs. 3 BGB und im AGG gefunden. Für Teilzeitkräfte ist § 4 Abs. 1 TzBfG maßgebend.

2. Anwendungsbereich

Da der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz die Privatautonomie vor allem des AG einschränkt, ist er nur auf solche Sachverhalte anzuwenden, bei denen das AG-Verhalten entweder ausdrücklich auf der Grundlage einer allgemeinen Regelung erfolgt oder sich der AG in seinem Verhalten an einer solchen Regelung orientiert. Vor dem Hintergrund des § 105 GewO bleibt allerdings zu klären, ob der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz in der Weise gesetzlich anerkannt ist, dass er einer zwingenden gesetzlichen Vorschrift gleichsteht, die einer arbeitsvertraglichen Regelung entgegensteht. Insoweit ist das Verhältnis der Privatautonomie im Arbeitsleben und die Bindung des AG an den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz in seinem Spannungsverhältnis neu zu definieren.

Deshalb stellt sich als Vorfrage für die Anwendbarkeit des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes immer wieder die Frage, ob Vereinbarungen nach den Umständen des Einzelfalls als Ausfluss der verfassungsrechtlich garantierten Privatautonomie oder nach allgemeinen Regelungen des AG getroffen werden.

Im Ausgangspunkt hat allerdings der AN keinen Anspruch darauf, dass der AG allgemeine Regeln aufstellt. Es gibt keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz mit dem Inhalt: „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“. Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz begründet auch keinen Anspruch eines AN auf Verlängerung eines sachgrundlos befristeten Arbeitsvertrages nach § 14 Abs. 2 TzBfG. Andernfalls würde dem AG die Möglichkeit genommen, frei und ohne Bindung an sachliche Gründe entscheiden zu können, ob er den befristet beschäftigten AN nach Ablauf der vereinbarten Vertragslaufzeit weiterbeschäftigt. Dies will aber § 14 Abs. 2 TzBfG ermöglichen.

3. Unsachliche Differenzierung durch den AG

Stellt der AG eine Regelung auf, nach der er sein Handeln ausrichtet oder die sein Handeln gegenüber den AN bestimmt, so darf er keine unsachlichen Differenzierungen vornehmen. Von einer unsachlichen Unterscheidung wäre auszugehen, wenn für diese kein billigenswerter, sachlicher Grund erkennbar wäre. Folge eines Verstoßes gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz ist immer eine Angleichung nach oben. Die benachteiligten AN haben einen Schadensersatzanspruch auf die Leistungen, die ihnen vorenthalten wurden.

Geht es sogar um förmlich aufgestellte Regelungen, zB schriftliche Richtlinien, so kann sich ein benachteiligter AN auf die Benachteiligung in den Richtlinien auch berufen, wenn gar keine nach den Regeln begünstigten AN beschäftigt werden. Schließlich kommt es nicht auf die Größe der begünstigten Gruppe im Vergleich zur benachteiligten Gruppe an. Besteht auf AG-Seite ein schutzwürdiges Vertrauen in die Vornahme der Differenzierung, so kann dem AG zur Anpassung der Arbeitsbedingungen für die benachteiligten AN eine Übergangszeit einzuräumen sein.

Aktuelle Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts

Das Bundesarbeitsgericht hat sich im Jahr 2023 in mehreren Entscheidungen intensiv mit dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz auseinandergesetzt. Die zugrundeliegende Systematik und Argumentationsweise zog sich hierbei durch wie ein roter Faden. Dennoch unterscheiden sich die einzelnen Entscheidungen auf Grund ihres Anwendungsbereichs im Detail, sodass ein genauerer Blick auf sie lohnt:

1. Das „Equal-Pay-Urteil“ des BAG, Urt. v. 16.02.2023 – 8 AZR 450/21

Mit seinem „Equal-Pay-Urteil“ (v. 16.02.2023, Az.: 8 AZR 450/21) hat das Bundesarbeitsgericht für Diskussionen gesorgt. Eine Arbeitnehmerin hat Anspruch auf gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit nach dem Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG), wenn der Arbeitgeber männlichen Kollegen aufgrund des Geschlechts ein höheres Entgelt zahlt. Arbeitgeber können Verdienstunterschiede von Frauen und Männern nicht damit begründen, der Mann habe besser verhandelt oder er sei perspektivisch für einen Leitungsjob vorgesehen.

Sachverhalt

Im Ausgangsfall war ein Haustarifvertrag erstmals eingeführt worden, der für die im Außendienst beschäftigte Klägerin eine stufenweise Anhebung auf das Tarifgehalt vorgesehen hatte. Die Klägerin fand allerdings heraus, dass ein männlicher Kollege mehr verdiente als sie, obwohl dieser die gleiche Arbeit verrichtete.

Die Vertriebsmitarbeiterin verklagte den Arbeitgeber daraufhin und machte die Zahlung rückständiger Vergütung und eine angemessene Entschädigung für die erlittene Diskriminierung geltend.

Der Arbeitgeber berief sich darauf, dass der männliche Arbeitnehmer die Position einer ausgeschiedenen, besser vergüteten Vertriebsmitarbeiterin übernommen und zudem von sich aus bei den Vertragsverhandlungen eine höhere Vergütung gefordert habe.

Die Entscheidung

Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab. Das LAG Sachsen (Urt. v. 03.09.2021 – 1 Sa 358/19) war der Ansicht, der Gehaltsunterschied sei durch objektive Faktoren bedingt, da das höhere Gehalt bei Einstellung für die Gewinnung des Mitarbeiters erforderlich gewesen sei und die zweite Gehaltserhöhung durch das Interesse des Arbeitgebers, die im Zuge der Gewinnung des Mitarbeiters gemachten Zusagen einzuhalten, objektiv gerechtfertigt sei.

Dem widersprach das BAG und stellte fest, dass eine unterschiedliche Bezahlung von männlichen und weiblichen Arbeitnehmern bei gleicher Arbeit die Vermutung der Benachteiligung wegen des Geschlechts nach § 22 AGG begründen könne.

Um diese Vermutung zu widerlegen, müssten die Entgeltunterschiede durch objektive und geschlechtsneutrale Gründe gerechtfertigt sein, was der Arbeitgeber darzulegen und zu beweisen hat. Die vorgetragenen Gründe würden nach dem BAG hierfür jedoch nicht ausreichen.

Das BAG sprach daher der Klägerin die rückständige Vergütung nach Art. 157 AEUV, § 3 Abs. 1 und § 7 EntgTranspG und eine angemessene Entschädigung wegen der Diskriminierung nach § 15 Abs. 2 AGG zu.

Bewertung

Bei der Entscheidung handelt es sich nicht um den viel zitierten „Paukenschlag aus Erfurt“. Zwar hat das Bundesarbeitsgericht mit seiner Entscheidung die individuelle Vertragsfreiheit des Arbeitgebers eingeschränkt. Es handelt sich dabei aber auch „nur“ um eine Einzelfallentscheidung, die zudem überzeugend begründet ist.

Denn wenn die individuelle Vereinbarung mit einem männlichen Arbeitnehmer über ein höheres Gehalt zur Vermutung der Benachteiligung führt, dann kann nicht die gleiche Tatsache – individuelle Vereinbarung – zur Widerlegung dieser Vermutung führen.

Ungleichbehandlungen dürfen daher auch weiterhin stattfinden – aber eben nur, wenn es einen objektiv belastbaren Rechtfertigungsgrund hierfür gibt.

2. Das BAG zur Gleichbehandlung bei Bonuszahlungen, Urt. v. 25.1.2023 – 10 AZR 29/22

Das BAG stellt in dieser Entscheidung fest, dass der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz ist in Bezug auf die Zahlung von Arbeitsvergütung unter anderem dann anwendbar ist, wenn der Arbeitgeber eine Leistung nach einem erkennbaren und generalisierenden Prinzip gewährt, indem er Voraussetzungen oder Zwecke festlegt.

Auf dieser Grundlage kann sich dann, wenn die Voraussetzungen eines Bonusanspruchs (noch) nicht erfüllt sind und der Arbeitgeber dennoch vorbehaltlos Leistungen an eine Gruppe von Arbeitnehmern nach an objektiven Kriterien festgemachten Regeln gewährt, ein Anspruch für die hier außenvorgelassenen Arbeitnehmer ergeben, wenn ein sachlicher Grund für die unterschiedliche Behandlung nicht gegeben ist.

Auf dieser Grundlage erwies sich der „sachliche Grund“ des Arbeitgebers, der zuvor einen Sozialplan abgeschlossen und einigen wenigen Mitarbeitern auf dieser Grundlage vorbehaltlos einen Bonus ausgezahlt hatte, dass sich die wirtschaftliche Lage des Unternehmens voraussichtlich verschlechtern würde und die anderen Mitarbeiter deshalb nicht mit einer Bonuszahlung rechnen bräuchten, als ungeeignet, die offenkundige Ungleichbehandlung zu rechtfertigen.

Das Gericht hatte zwei Vergleichsgruppen gebildet und diese miteinander verglichen – namentlich diejenigen Arbeitnehmer, die vor der Ankündigung bereits den Bonus vorbehaltlos ausgezahlt bekommen hatten und diejenigen, die nach der Ankündigung wegen der schlechten wirtschaftlichen Prognose für das Folgejahr keinen Bonus erhalten hatten. Dabei wurde festgestellt, dass die Prognose zwar grundsätzlich dazu geeignet war, den Bonusanspruch für sämtliche Mitarbeiter untergehen zu lassen, da diese Folge durchaus mit den geltenden Bonusvereinbarungen mitsamt der sich abzeichnenden schlechten wirtschaftlichen Entwicklung hätte begründen lassen.

Da aber bereits ein Teil der Arbeitnehmer den Bonus erhalten hatte und das unabhängig davon, wie zu diesem Zeitpunkt eine Prognose der wirtschaftlichen Entwicklung ausgefallen wäre, lag kein sachlicher Rechtfertigungsgrund für diese Ungleichbehandlung vor. Das BAG sprach daher auch den benachteiligten Arbeitnehmern einen Anspruch auf die Bonuszahlung in gleicher Höhe zu.

3. Das BAG zur Unterscheidung variablen Vergütung, Urt. v. 26.4.2023 – 10 AZR 137/22

Die Darlegungs- und Beweislast für einen Verstoß gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz trägt grundsätzlich der anspruchstellende Arbeitnehmer. Somit hat er die Voraussetzungen des Anspruchs auf Gleichbehandlung darzulegen und vergleichbare Arbeitnehmer zu nennen, die ihm gegenüber vorteilhaft behandelt wurden. Hat er dies getan, muss der Arbeitgeber diesen Behauptungen zur Gruppenbildung substantiiert entgegentreten und – wenn er den Kreis der vergleichbaren Arbeitnehmer anders beurteilt – seinerseits darlegen, wie groß der begünstigte Personenkreis ist, wie er sich zusammensetzt, wie er abgegrenzt ist und warum der klagende Arbeitnehmer nicht dazu gehört.

Der Kläger stützt seinen Leistungsanspruch auf den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Die Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ist nach dem Vortrag der Parteien nicht ausgeschlossen. Der Kläger hat seine Zugehörigkeit zur Gruppe der leitenden Führungskräfte schlüssig dargelegt. Es obliegt nun der Beklagten, substanziiert zu den Gründen für die ihrerseits vorgenommene Gruppenbildung Stellung zu nehmen.

Das LAG muss den Anspruch auf Grundlage des zu erwartenden weiteren Sachvortrags der Parteien erneut prüfen. Dabei hat es zu berücksichtigen, dass die in den vergangenen Jahren erklärten Freiwilligkeitsvorbehalte – auch bei unterstellter Wirksamkeit – , der Bindung an den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz für die streitgegenständlichen Geschäftsjahre nicht entgegenstehen.

Die Entscheidung zeigt eine weitere Grenze der Möglichkeiten auf, Leistungsansprüche durch Freiwilligkeitsvorbehalte wirksam auszuschließen. An Freiwilligkeitsvorbehalte sind zunächst im Hinblick auf eine transparente und widerspruchsfreie Formulierung hohe Anforderungen zu stellen. Zudem lassen sich nicht alle Ansprüche einem Freiwilligkeitsvorbehalt unterwerfen, dies gilt insbesondere für Ansprüche, die Arbeitnehmer durch individuellen Leistungseinsatz erworben haben. Und schließlich setzt auch der allgemeine Gleichheitsgrundsatz den Flexibilisierungsmöglichkeiten des Arbeitgebers durch Freiwilligkeitsvorbehalte Grenzen.

4. Das BAG zur Gleichbehandlung bei Nachtzuschlägen, Urt. v. 22.3.2023 – 10 AZR 553/20

Die Parteien stritten über die Höhe tariflicher Nachtarbeitszuschläge. Auf das Arbeitsverhältnis fand ein MTV Anwendung. Dieser sieht in § 5 II vor, dass für Schichtarbeit während der Nachtzeit Zuschläge i. H. v. 25 % gezahlt werden, für Nachtarbeit außerhalb von Schichtdienst dagegen Zuschläge i. H. v. 50 % anfallen. Die Klägerin leistete Nachtarbeit im Rahmen von Wechselschichtarbeit und erhielt Zuschläge i. H. v. 25 %. Mit ihrer Klage machte sie die Differenz zwischen dem gezahlten tariflichen Zuschlag für Schichtarbeit i. H. v. 25 % und dem tariflichen Zuschlag für Nachtarbeit außerhalb von Schichtarbeit i. H. v. 50 % des Stundenentgelts geltend.

Das BAG entschied: Erhalten Nachtschichtarbeitnehmer und Arbeitnehmer, die außerhalb von Schichtsystemen Nachtarbeit leisten, für die von ihnen geleistete Nachtarbeit unterschiedlich hohe Zuschläge, verstößt eine solche Ungleichbehandlung dann gegen den Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG, wenn für diese Differenzierung – wie vorliegend – kein aus dem Tarifvertrag erkennbarer sachlicher Grund gegeben ist.

Der Verstoß gegen den Gleichheitssatz führt für vergangene Zeiträume zum Anspruch auf sog. Anpassung „nach oben“, da nur so die Ungleichbehandlung beseitigt werden kann. Die benachteiligende Bestimmung des Tarifvertrags bleibt unangewendet, im Übrigen bleibt der Tarifvertrag wirksam.